Am Samstag, dem 25. Oktober 2025, stand Archimandrit Kosmas (Serbische Orthodoxe Diözese von der Schweiz) der Göttlichen Liturgie der Apostolischen Konstitutionen anlässlich des Beginns des Wintersemesters in der Kirche des Hl. Johannes Vladimir vor. Dabei konzelebrierten die Münchener Priester.
Nach der Lesung des Evangeliums wandte sich Priester Dejan Ristić an die Anwesenden. Seine Predigt übermitteln wir im Wortlaut.
Heute dürfen wir gemeinsam in die Tiefe der frühen Kirche eintauchen – in jene Zeit, in der die Christen noch unter einfachsten Bedingungen zusammenkamen, und dennoch in ihrem Gottesdienst die ganze Herrlichkeit des Mysteriums der Eucharistie erlebten.
Wir blicken auf eine der ältesten überlieferten Liturgien – die Liturgie der Apostolischen Konstitutionen – ein Juwel des 4. Jahrhunderts, das uns nicht nur ein liturgisches, sondern auch ein geistliches und kirchengeschichtliches Fenster in die Welt der Urkirche öffnet.
Die sogenannten Apostolischen Konstitutionen entstanden vermutlich im 4. Jahrhundert in Syrien, wahrscheinlich in Antiochia, jener Stadt, in der die Jünger „zum ersten Mal Christen genannt wurden“ (Apg 11, 26).
Der Text ist nicht wörtlich von den Aposteln verfasst, aber im Geist der apostolischen Überlieferung stehend.
Der Autor – unbekannt, vielleicht ein Bischof Syriens – wollte nicht täuschen, sondern die Kirche seiner Zeit an das Ursprüngliche erinnern.
Sie sind eine Sammlung kirchlicher Anordnungen, die sich auf die „Apostolische Überlieferung“ berufen. In acht Büchern werden Anweisungen zu Kirchenordnung, Moral, Disziplin und vor allem zur Liturgie gegeben.
Das achte Buch enthält dabei die Liturgie, die wir heute als „Liturgie der Apostolischen Konstitutionen“ kennen – eine Form, die in vielem der späteren Liturgie des hl. Basilius gleicht, aber noch den ursprünglichen, altsyrischen Geist atmet.
Man darf sagen: In ihr steht die Kirche noch an der Schwelle zwischen der apostolischen Einfachheit und der sich entwickelnden byzantinischen Pracht.
Diese Liturgie ist von tiefer Einfachheit und zugleich erhabener Theologie.
Wir finden darin bereits: den Friedensgruß, die Lesungen aus dem Alten und Neuen Testament, den Friedenskuss und die große Eucharistische Anaphora mit der Anrufung des Heiligen Geistes.
Wenn wir die Worte lesen, erkennen wir den vertrauten Aufbau:
das Lob des Vaters, den Gesang der Engel „Heilig, Heilig, Heilig“, die Erinnerung an das Heilswerk Christi, und die Bitte: „Sende herab Deinen Heiligen Geist auf uns und auf diese Gaben, um sie zu heiligen und zu segnen und sie uns zum Leib und Blut Deines Geliebten Sohnes zu machen.“
Diese Struktur, wurde später in der Basilius-Liturgie bewahrt und bei Chrysostomos vereinfacht. So fließt das Leben der alten Kirche bis heute in unseren Gottesdiensten.
Die Apostolischen Konstitutionen zeigen uns, wie die Kirche sich verstand: als Leib Christi, geordnet, geeint, heilig – als ein „mystischer Leib“, in dem jeder seinen Platz hat: der Bischof als Haupt, der Diakon als Diener, die Gläubigen als Glieder. Die Ordnung des Kirchraums spiegelt die Ordnung des Himmels.
Die Liturgie ist durchdrungen von einem tiefsinnigen Trinitarismus: der Vater als Ursprung, der Sohn als Mittler, der Geist als Vollender.
Und sie betont eindrücklich die allumfassende Dimension der Kirche – die Fürbitten erstrecken sich über alle, die „im Namen Christi leiden, in der Fremde leben oder in Not sind“, auch über diejenigen „die uns hassen“.
Diese Liturgie ist nicht nur ein historisches Dokument, sondern ein Zeugnis lebendiger Theologie.
In ihr leuchtet das frühe ekklesiologische Bewusstsein der Christen auf:
Die Kirche ist Leib Christi, das eucharistische Geschehen ist ihre Mitte, und die Einheit der Gläubigen gründet sich im gemeinsamen Brotbrechen.
So dürfen wir in dieser Liturgie ein frühes Zeugnis dessen sehen, was wir heute feiern: dass die Eucharistie das Mysterium der Gegenwart Christi in seiner Kirche ist – nicht bloß als Erinnerung, sondern als reale, geistliche, göttliche Wirklichkeit.
Wenn wir heute die Liturgie feiern, tun wir es in der gleichen Bewegung des Glaubens wie jene ersten Christen.
Was sie in Antiochia beteten, beten wir in byzantinischer Fülle weiter.
Und das zeigt: Liturgie ist nicht bloß eine Form – sie ist Tradition im eigentlichen Sinne, lebendige Weitergabe des göttlichen Lebens.
Liturgie ist nicht Geschichte – sie ist Gegenwart des Heiligen Geistes.
Sie ist nicht bloß Erinnerung, sondern Erfüllung; nicht Rückblick, sondern Teilnahme; nicht Geschichte, sondern Ewigkeit, die in die Zeit hineingetreten ist.
So möge dieses neue Semester, nicht nur ein Jahr des Lernens, sondern ein Jahr der Vertiefung im Mysterium sein.
„Prüft alles und behaltet das Gute“ (1 Thess 5,21)
Dieses Wort des Apostels Paulus ist kein Aufruf zur Skepsis, sondern zur geistigen Unterscheidung.
Es lädt uns ein, die Fülle der Welt, der Wissenschaft und der Geschichte
mit den Augen des Glaubens zu prüfen und in allem das Gute, das Wahre und das Heilige zu erkennen, weil alles Gute aus Gott stammt und zu Ihm zurückkehrt.
So wird das Denken zur Liturgie des Geistes, und die Liturgie zur Erkenntnis des Herzens.
Beides vereint sich dort, wo der Mensch im Licht Christi steht,
das alle Dunkelheit erhellt und jede Wahrheit heiligt. Amen!